Wie jedes Jahr war am vergangenen Abend die Keynote zur Eröffnung der WWDC lediglich die Spitze des Eisbergs. Um die dort behandelten Themen herum gibt es noch eine ganze Reihe Nebenkriegsschauplätze, die vielleicht nicht sofort ins Auge springen, die aber dennoch ihre eigene Relevanz haben. Vergessen sollte man dabei nie, dass es sich bei der WWDC eben um eine Entwicklerkonferenz handelt. Da stehen nur selten Consumer-Produkte im Mittelpunkt, was auch den für den Ottonormalverbraucher ungewöhnlichen Jubel bei der Verkündung von neuen Entwickler-spezifischen Themen erklärt. Mit der Keynote hat Apple aber schon einmal angedeutet, wohin die Reise in den kommenden Jahren gehen wird. Die Auswirkungen in Sachen App-Entwicklung für iOS, macOS, watchOS und tvOS lassen sich da noch gar nicht absehen.
Aus Anwendersicht waren aber sicherlich die Ausblicke auf die für Herbst angekündigten neuen Versionen von iOS, macOS, tvOS und watchOS interessanter. Bei allen drei Systemen wird Apple in diesem Jahr auf der einen Seite Produktpflege betreiben, auf der anderen Seite aber auch jede Menge neue Funktionen einführen. Dabei haben sich auch in diesem Jahr wieder diverse bereits im Vorfeld gehandelte Gerüchte bewahrheitet, wie unter anderem das Developer-SDK für Siri oder die Möglichkeit, erstmals die vorinstallierten Standard-Apps vom iPhone und iPad entfernen zu können. Überraschend war allerdings erneut, wie verhalten das Publikum auf die Neuerungen in watchOS 3 reagiert hat. Die Möglichkeiten auf der Apple Watch sind dann eben naturgemäß doch ein wenig begrenzt, was natürlich nur wenig Spielraum für beeindruckende neue Funktionen lässt.
Allein schon aufgrund seiner immensen Verbreitung zieht natürlich iOS die meiste Aufmerksamkeit auf sich. Und mit iOS 10 wird Apple nach eigener Aussage im Herbst das größte Update aller Zeiten veröffentlichen. Dabei haben sich zunächst einmal nicht die Gerüchte bewahrheitet, dass Apple erneut einen Fokus auf die Stabilität des gesamten Systems legt. Stattdessen präsentierte man gleich einen ganzen Sack voller neuer Funktionen, von denen man 10 besonders auf der Keynote in den Vordergrund rückte. Dabei findet man an verschiedenen Stellen auch jede Menge optische Neuerungen, die sich vielleicht am prominentesten im Notification Center auswirken. Neu ist auch, dass man das iPhone nicht mehr mit einem Wisch von links nach rechts entsperrt, sondern mit einem Druck auf den Home-Button. Dafür wacht das iPhone jetzt bereits auf, wenn man es einfach nur in die Hand nimmt und präsentiert den Inhalt des Sperr-Bildschirms. Auch Wunsch lässt sich dies aber auch in den Einstellungen deaktivieren. Ein Wisch im Sperr-Bildschirm nach links bringt einen künftig direkt in die Kamera-App.
Die im vergangenen Jahr mit dem iPhone 6s eingeführte neue 3D Touch Technologie bekommt zumindest bei den Standard-Apps neue Funktionalitäten und präsentiert in iOS 10 nun teilweise neue Menüs beim festen Druck auf das App-Icon inkl. erweiterten Möglichkeiten zur Interaktion. Eine Funktion, die stark an Widgets erinnert. Zudem findet man nun im 3D Touch Menü jeder Drittanbieter-App eine Möglichkeit, diese mit anderen zu teilen und somit bekannt zu machen.
Auch in verschiedenen Apps wird Apple Hand anlegen. So erhält die Fotos-App wie erwartet neue Funktionen, die sich allerdings nicht auf die Bearbeitung der Bilder beziehen. Vielmehr möchte Apple das Auffinden von Bildern auf dem iPhone vereinfachen. Neu ist beispielsweise eine Gesichtserkennung die auch für Landschaften und Anlässe funktioniert und hieraus über die neue Funktion "Memories" automatisch aus zusammengehörigen Videos und Fotos eine emotionale Slideshow erstellt. Zudem springt nun auch die Karten-Ansicht für Fotos auf das iPhone und iPad.
Die erwarteten Neuerungen gibt es zudem auch in der Musik-App. Dabei steht vor allem eine bessere Navigation und Bedienung von Apple Music im Vordergrund. Hier hat Apple auf die Kritik der Nutzer gehört und trennt die eigene Musik, den iTunes Store und Apple Music fortan sauberer voneinander. Der erste Tab enthält dabei künftig die eigene Musik-Mediathek, während sich der Rest um Apple Music kümmert. Zudem hält ein komplett neues, von großflächigen Grafiken und Schriften geprägtes Design Einzug in die Musik-App. Funktional bringt die Musik-App künftig endlich auch Songtexte mit und Beats1 Shows lassen sich künftig auch On-Demand abrufen. Die Kollegen von 9to5Mac haben bereits eine Galerie mit Bildern zur neuen App veröffentlicht.
Weitere kleinere Neuerungen betreffen auch weitere Apps, wie beispielsweise die Karten-App oder auch Mail. Wie erwartet wird iOS 10 erstmals über eine zentrale App für die Steuerung von HomeKit-kompatiblen Produkten namens Home verfügen. Hiermit lassen sich nicht nur die einzelnen Produkte bedienen, sondern ganze Szenen erstellen, die auch mit Siri gesteuert werden können. Das Apple TV wird dabei als zentraler Hub für die Steuerung fungieren, so dass man auch von außerhalb auf die Produkte zugreifen kann. Auch die Apple Watch kann für die HomeKit-Steuerung genutzt werden und bekommt eine vorinstallierte Home-App spendiert.
Eine zentrale Rolle bei allem was Apple in den kommenden Jahren planen wird, dürfte Siri spielen. Die wichtigste Neuerung ist wohl die Öffnung des persönlichen Sprachassistenten für Entwickler, die Siri über entsprechende APIs nun auch in ihre Drittanbieter-Apps integrieren können. Hierdurch ergeben sich vollkommen neue Möglichkeiten und Fragen, die Siri beantworten kann. QuickType wird in iOS 10 zudem mit Siris Intelligenz gepaart, wodurch man direkt aus dem einfachen Tippen einer Nachricht heraus verschiedene Informationen integrieren oder ableiten kann. Und endlich kann QuickType künftig auch automatisch zwischen verschiedenen Sprachen unterscheiden. Übrigens stehen für Entwickler auch neue APIs für Apples Karten und für iMessage zur Verfügung.
A propos iMessage. Hier wird Apple jede Menge Neuerungen einführen, die von größeren Emojis über Smart Links, die eine kleine Vorschau des Inhalts anzeigen. Hinzu kommen "Bubble Effects" zum besseren Ausdrücken von Emotionen und die Unterstützung von Stickern. Daüber hinaus wird Apple auch einen neuen AppStore speziell für iMessage anbieten, der direkt in die App integriert ist über die Entwickler und sonstige Content Anbieter beispielsweise ihre Sticker an den Mann bringen können. Ähnlich also, wie man es vom Facebook Messenger kennt. Zudem können Lesebestätigungen nun auch für einzelne Unterhaltungen und nicht mehr nur global konfiguriert werden
Die erste Beta von iOS 10 ist erst einige Stunden in den Händen der Entwickler, weswegen in den kommenden Tagen sicherlich noch einige kleine Neuerungen ans Tageslicht kommen werden. Aktuell wurde bereits bekannt, dass Visual VoiceMail künftig die Transkibierung von Mailbox-Nachrichten in Text unterstützt, die Kontakte-App neue Buttons enthält, mit denen man beispielsweise auch direkt aus der Kontaktansicht heraus nun eine WhatsApp-Nachricht versenden kann. Die Uhr-App enthält nun nicht mehr nur einen Wecker, sondern auch eine Erinnerungsfunktion, wann man ins Bett gehen sollte. Und wer das erste Mal unter iOS 10 die Tastatur benutzt, dem wird ein neuer Tastenton auffallen.
Hinzu kommen verschiedene Verbesserungen und Neuerungen im gesamten System und bei allen vorinstallierten Apps. Entwickler erhielten die erste Beta von iOS 10 am gestrigen Abend. Eine Public Beta folgt im Juni und die finale Veröffentlichung dann wie gewohnt im Herbst, vermutlich kurz vor dem Verkaufsstart des neuen iPhone. Apple hat inzwischen eine Preview-Seite online gestellt, auf der die wichtigsten Neuerungen in iOS noch einmal präsentiert werden.
Auch das zweite "große" Betriebssystem erhielt natürlich seine Bühnenzeit auf der WWDC-Keynote. Erstes Thema war dabei natürlich das im Vorfeld kontrovers gehandelte Gerücht wonach Apple sein bisheriges OS X in macOS umbennenen wird, was dann auch tatsächlich geschah. Damit sind die Betriebssysteme namenstechnisch nun komplett auf einer Linie. Beibehalten hat Apple allerdings den kalifornischen Namenszusatz, der in diesem Jahr Sierra lautet. In Sachen Funktionalität kümmert sich Apple wie bereits erwartet um das einfachere Entsperren des Macs per "Auto Unlock". Hierbei wird der Mac entsperrt, sobald man sich mit einer getragenen Apple Watch vor ihn setzt. Ein Entsperren über Touch ID auf einem verbundenen iPhone ist allerdings anscheinend aktuell nicht angedacht. Ein neues universelles Clipboard ermöglicht künftig zudem den Austausch des Inhalts der Zwischenablage zwischen Mac und iPhone via Continuity.
Wie erwartet kommt auch Apple Pay auf den Mac, genauer gesagt in den Browser. Apple Pay am Mac funktioniert dabei wie erwartet via Touch ID auf einem via Bluetooth verbundenen iPhone oder einer getragenen Apple Watch via Continuity. In den kommenden Monaten kommt Apple Pay zudem auch nach Hongkong, Frankreich und in die Schweiz. Von Deutschland ist weiterhin keine Rede.
Größte Neuerung in macOS Sierra wird aber natürlich die erstmalige Integration von Siri sein. Hierdurch ergeben sich natürlich neue Möglichkeiten, wie beispielsweise das Suchen nach Dateien mit bestimmten Tags. Siri kann auch beim Multitasking helfen und beispielsweise Musik starten, während man an einem Dokument arbeitet.
Weitere Neuerungen betreffen wie eigentlich immer auch iCloud Drive, Mail und Safari. Wie bereits im Vorfeld gemunkelt, enthält macOS Sierra eine neugestaltete Version von iTunes, die sich an der neuen Musik-App aus iOS 10 (siehe oben) orientiert und ebenfalls mit großflächigen Grafiken und Schriften punktet. Und auch die Fotos-App orientiert sich an seinem iOS-Pendant und bekommt unter anderem dieselbe Memories-Funktion zur automatischen Erstellung von Clips zu bestimmten Themen.
Registrierte Entwickler wurden nach der Keynote mit einer ersten Beta ausgestattet, die Public Beta startet im Juli und die finale Version folgt für alle Nutzer um Herbst. Auch für macOS Sierra hat Apple inzwischen eien Preview-Seite veröffentlicht, auf der sämtliche Neuerungen noch einmal hübsch aufbereitet dargestellt werden.
Erstmals hatte Apple auf einer WWDC gleich vier Plattformen zu behandeln. Neben iOS und macOS waren dabei (wenn auch nur kurz) auch tvOS und watchOS ein Thema. watchOS 3 wird sich ab dem Herbst vor allem um Geschwindigkeit kümmern. Unter anderem werden Apps künftig deutlich schneller starten und auch gleich Inhalte parat haben. Hierzu wird beispielsweise die bereits vom iPhone bekannte Hintergrundaktualisierung eingeführt. Zum Wechseln zwischen den Apps kann man künftig auf den seitlichen Knopf drücken und hiermit das neue “Dock” öffnen - quasi ein App Switcher auf der Apple Watch. Auch andere Bereiche lassen sich künftig schneller erreichen. So öffnet ein Swipe von unten nach oben künftig auch auf der Apple Watch ein Control Center. Zwischen den verschiedenen Zifferblättern lässt sich künftig mit einem einfachen seitlichen Swipe wechseln. Auch Reaktionen auf eingehende Nachrichten werden künftig schneller möglich sein. Eine neue Funktion namens “Scribble” ermöglicht hier zudem künftig ein smartes Schreiben auf der Apple Watch mit dem Finger. Auch neue Apps werden unter watchOS mit an Bord sein: Erinnerungen und Meine Freunde finden.
Für wirklich wichtig erachte ich allerdings die neuen Funktionen im Falle medizinischer Notfälle oder wenn man sich in einer unsicheren Situation befindet. Über die neue Funktion namens "SOS" kann man so beispielsweise durch einen langen Druck auf den Knopf unterhalb der digitalen Krone den Notruf wählen. Da die Uhr ja immer weiß, wo sie sich gerade befindet, funktioniert dies auch international - Apple Watch kennt hier die jeweils passende Nummer. Passend hierzu gibt es künftig auch den Medical Pass auf der Apple Watch.
Die Activity-App ermöglicht künftig auch das Teilen von eigenen Workouts und Erfolgen. Dies geht direkt über die Nachrichten App. Erhält man selbst solche Nachrichten, gibt es passende Smart Replies hierfür, mit denen man dem Sender antworten kann. Ebenfalls neu in diesem Bereich sind neue Fitness-Funktionen für Rollstuhlfahrer. watchOS 3 bekommt zudem eine neue Gesundheitsfunktion: Breathe. Hierüber wird man über den Tag an Atemübungen erinnert. Dies wird über grafische Animationen oder wahlweise haptisches Feedback am Handgelenk unterstützt. Die Kollegen von 9to5Mac haben bereits ein paar erste Screenshots und ein Hands-On mit watchOS 3 veröffentlicht.
Die Entwickler bekommen mit watchOS 3 diverse neue APIs an die Hand: Apple Pay für Apps, Zugriff auf das Gyroskop, Inline Video, Game Center und CloudKit. watchOS 3 Beta steht Entwicklern seit gestern Abend zur Verfügung, die finale Version kommt dann für alle im Herbst. Zu einer möglichen Public Beta hat sich Apple nicht geäußert. Die neue Preview-Seite informiert über alle Neuerungen.
Auch das Betriebssystem für das Apple TV erhielt auf der WWDC einige Bühnenzeit. Neben diversen neuen Apps, die in den kommenden Monaten erscheinen, wurde dabei unter anderem eine neue Version der Apple TV Remote App für das iPhone angekündigt. Diese wird ein neues Design erhalten und sich auch als Controller für Spiele nutzen lassen. Hierdurch entfällt für Entwickler künftig auch die Voraussetzung, dass ihre Spiele die Siri Remote als Controller unterstützen müssen. Wer schon einmal einen Blick auf ein paar Screenshots der neuen Remote-App werfen möchte, kann dies ebenfalls bei den Kollegen von 9to5Mac tun.
Apple wird künftig auf dem Apple TV die Möglichkeit Single Sign-On anbieten. Hierüber kann man sich einmal für alle Pay TV Angebote anmelden und muss dies künftig nicht für jedes Angebot einzeln tun. Dies dürfte aktuell vor allem für die USA interessant sein. Zudem wird das neue tvOS einen "Dark Mode" enthalten und Apps die auf dem iPhone gekauft werden erscheinen künftig direkt auf dem Apple TV. Die Musik-App auf dem neuen Apple TV wird an denselben Look angepasst, den auch iOS und macOS erhalten. Auch die Entwickler werden mit neuen APIs ausgestattet: ReplayKit, PhotoKit, HomeKit. Die erste tvOS Developer Preview wird den Entwicklern heute bereitgestellt, die finale Version für alle erscheint im Herbst. Auch für tvOS 10 hat Apple eine Preview-Seite mit allen Neuerungen in Wort und Bild eingerichtet.
Ein wirkliches "One more thing..." gab es dieses Mal zwar nicht, dafür aber jede Menge kleine Überraschungen, die kurz auf der Bühne angerissen wurden. Unter anderem widmet sich Apple verstärkt der Verbreitung von Kenntnissen in Sachen Anwendungsentwicklung und hat eine neue App namens "Swift Playground" präsentiert. Dabei handelt es sich zwar nicht um eine komplette Entwicklungs-Umgebung für das iPad, allerdings haben hiermit Programmiereinsteiger die Möglichkeit, sich dem Thema spielerisch zu nähern und sich die Funktionen Stück für Stück selbst zu erarbeiten. Die App soll ab Herbst im AppStore erhältlich sein.
Auch die ersten kleinen Sichtungen aus den frühen Betas der Betriebssysteme sickern bereits durch. So hat Apple in iOS 10 die dedizierte Game Center App entfernt, das Game Center aber weiterhin am Leben erhalten. Dieses wird man künftig allerdings ausschließlich innerhalb der nutzenden Apps finden.
Auch die neue Möglichkeit zum Löschen der vorinstallierten Standard-Apps ist noch nicht komplett ausgereift. So können die Apps zwar in der Tat vom iPhone oder iPad entfernt und anschließend neu aus dem AppStore heruntergeladen werden, allerdings gibt es aktuell noch keine Möglichkeit, alternative Default-Apps festzulegen, die beispielsweise die Funktionen von Mail übernehmen. Bleibt abzuwarten, ob Apple dies bis zum Herbst noch korrigiert oder ob es hierfür noch kein Szenario innerhalb von iOS 10 gibt.
Als Fazit kann ich aus meiner persönlichen Sicht sagen, dass ich mit dem Inhalt der Keynote absolut zufrieden bin. Dies ist natürlich immer stark abhängig von der Erwartungshaltung. Apple hat die WWDC wieder zu dem gemacht, was sie ist, nämlich eine Entwicklerkonferenz. Dabei sollte traditionell die Software im Vordergrund stehen. Und was Apple vor allem mit macOS Sierra und iOS 10 präsentiert hat, kann sich nun wirklich sehen lassen. Für den normalen Nutzer fehlen dabei eventuell Funktionen, die "sexy" sind. Die neuen Funktionen werden aber sicher viele Fans finden, sobald die Updates im Herbst erstmal auf dem Markt sind.
Fazit: Eine gelungene Keynote zur Eröffnung der WWDC. Die kommenden Tage werden sicherlich eine ganze Reihe weiterer Splitter zu Tage fördern, die die Entwickler in den beiden neuen Betriebssystemen entdecken. Es bleibt also spannend.